Arbeitsrecht: Reinigungskraft beleidigt Vorgesetzte - Kündigung des Arbeitgebers unwirksam

Die Bezeichnung einer Vorgesetzten als "Kricke" (sächsische Bezeichnung für Krücke) rechtfertigt keine außerordentliche oder ordentliche Kündigung, wenn innerhalb des Hausserviceteams der Reinigungskräfte ein rauer, robuster Umgangston gepflegt wird. Es stellt schon keine grobe Beleidigung dar, wenn der Ausdruck eine Grundhaltung des überwiegenden Teiles des Reinigungsteams gegenüber der offenbar nicht anerkannten Vorgesetzten ist. So entschied das Arbeitsgericht Leipzig am 14.04.2005 (Aktenzeichen: 10 Ca 8391/04)

Beleidigungen als Kricke


Die Beklagte wirft der Klägerin vor, sie habe ihre Vorgesetzte Frau G. durch die Bezeichnung als "Kricke" beleidigt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z. B. Urteile vom 10.10.2002 – 2 AZR 418/01DB 2003, 1797 und vom 21.01.1999 – 2 AZR 665/98NZA 1999, 863, jeweils m. w. N.) können grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und/oder seiner Vertreter oder Repräsentanten einerseits oder von Arbeitskollegen andererseits, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den bzw. die Betroffenen bedeuten, einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen und eine außerordentliche fristlose Kündigung an sich rechtfertigen. Zwar können die Arbeitnehmer im Arbeitsrecht unternehmensöffentlich Kritik am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen gegebenenfalls auch überspitzt oder polemisch äußern. Im groben Maße unsachliche Angriffe, die u. a. zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber dagegen nicht hinnehmen. Dabei ist die strafrechtliche Beurteilung kündigungsrechtlich nicht ausschlaggebend. Auch eine einmalige Ehrverletzung ist kündigungsrelevant und umso schwerwiegender, je unverhältnismäßiger und je überlegter sie erfolgt.

Ausgehend vom Vorstehenden ist die Bezeichnung von Frau ... als "Kricke" nicht geeignet, eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Nach dem Verständnis des Gerichts stellt die Bezeichnung eines Vorgesetzten als "Kricke/Krücke" zwar eine Geringschätzung dessen Person und Leistung als Vorgesetzter dar. Im vorliegenden Fall ist die Äußerung der Klägerin aufgrund der Gesamtumstände jedoch nicht als grobe Beleidigung von Frau ... anzusehen.

Das Gericht geht insbesondere aufgrund des vorgelegten Protokolls der Dienstbesprechung vom 17.12.2004 davon aus, dass der Vortrag der Klägerin zum Umgangston im Hausserviceteam jedenfalls im Kern zutreffend ist. Der Vortrag der Beklagten, es herrsche ein sachlicher und umgänglicher Ton, ohne auf das von der Klägerin behauptete Niveau abzugleiten, erscheint dem Gericht auch vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen als nicht glaubhaft.

Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, dass sie und ihre Kolleginnen als Reinigungskräfte eine Tätigkeit verrichten, welche keine hohen Anforderungen an die Ausbildung stellt. Es handelt sich um eine im Wesentlichen körperliche Tätigkeit, die keine umfangreichen Fachgespräche erfordert. Dies bringt es nach der Erfahrung des Gerichts mit sich, dass ähnlich wie im Baugewerbe im Kollegenkreis – nicht notwendig im Verhältnis zu Dritten – ein eher rauher, robuster Umgangston gepflegt wird. Dieser beinhaltet es auch, dass Bezeichnungen wie z. B. Arschloch, Rindvieh und fettes Schwein im Verhältnis zu Kollegen nicht das gleiche Gewicht haben, wie in der Vorstandsetage eines Krankenhauses oder einer Bank.

Auch wenn die Beklagte die Gepflogenheiten in einer Chefetage einer deutschen Bank insofern nicht für allgemeinverbindlich hält, als diese kein positives Beispiel dafür seien, wie sich Arbeitnehmer tatsächlich zu bewegen hätten und im Hinblick auf ihren Betrieb auf den bestehenden Patientenkontakt verweist, ergibt sich daraus nichts anderes. Nach eigener Behauptung der Beklagten ist die Äußerung der Klägerin nicht im Beisein von Patienten erfolgt, sondern in einem Aufenthaltsraum allein in Anwesenheit von Mitarbeitern des Reinigungsteams. Gegen die Behauptung der Beklagten, in dem Hausserviceteam habe ein sachlicher und umgänglicher Ton geherrscht, nur die Klägerin sei negativ aus dem Rahmen gefallen, spricht eindeutig der Inhalt des Protokolls der Dienstbesprechung vom 17.12.2004. Wenn nur die Klägerin durch ihren Umgangston aufgefallen sein sollte, ist es nicht nachvollziehbar, warum Frau ... am 17.12.2004 von den verbliebenen Mitarbeitern ausdrücklich ein höfliches und entgegenkommendes Arbeitsklima verlangt. Wenn Frau ... weiter geäußert hat, "Ich werde es nicht zulassen, dass andere Arbeitsplätze in unserem Bereich durch Boshaftigkeit und Intrigen gegeneinander aufs Spiel gesetzt werden", so unterstützt dies die Behauptung der Klägerin betreffend den Umgang im Team. Betrachtet man die Äußerung von Frau ... zu ... ("Wenn ich sage, dass Du heute noch die Fenster reinigen sollst, kannst du nicht sagen: Mal sehen, ob ich noch dazu komme"), ... ("Lass das Rummotzen, ohne Grund sage ich nicht, dass dies oder jenes zuerst gemacht werden soll") und ... ("Heute lege ich Dir zum letzten Mal ans Herz, Dich nicht aufzuführen, als wenn du Vorgesetzte bist. Dein Verhalten im gesamten Haus schreit zum Himmel. Ich möchte einen Tag erleben, wo Du nicht schon von weitem zu hören bist"), so wird deutlich, dass die Autorität von Frau ... als Vorgesetzte offenkundig von den genannten Mitarbeiterinnen in der Vergangenheit nicht anerkannt wurde und sie dies durch Äußerungen gegenüber Frau ... kundgetan haben. Die Bezeichnung von Frau G. als "Kricke" steht damit in einem Gesamtkontext, der zeigt, dass die Äußerung der Klägerin nicht als konkrete Beleidigung zu verstehen war, sondern vielmehr Kennzeichen einer in zumindest großen Teilen des Reinigungsteams bestehenden Haltung gegenüber Frau ...

Zwar ist auch die zuvor beschriebene Haltung der Klägerin und anderer Arbeitnehmerinnen gegenüber Frau ... als Vorgesetzte ebensowenig von der Beklagten zu akzeptieren wie etwaige Beleidigungen. Vor dem Hintergrund der sich im Protokoll vom 17.12.2004 widerspiegelnden Grundstimmung erscheint es aber nach den arbeitsrechtlichen Vorschriften unverhältnismäßig, die unangemessene Äußerung der Klägerin vom 15.12.2004 zum Anlass einer außerordentlichen oder ordentlichenKündigung zu nehmen. Der Beklagten wäre es vielmehr zumutbar gewesen, durch eine Abmahnung der Klägerin und dem gesamten Hausserviceteam zu verdeutlichen, welche Vorstellungen sie vom Umgang mit einer Vorgesetzten hat. Dies gilt umso mehr, als die Äußerung der Klägerin nur in einem sehr kleinen Kreis ohne Außenwirkung gefallen ist.

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