Verkehrsunfallrecht: Schätzung der erstattungsfähigen Mietwagenkosten nach Verkehrsunfall nach dem Mittelwert aus Schwacke-Liste und Fraunhofer-Liste

Immer wieder gibt es im Verkehrsunfallrecht Ärger mit den Versicherungen über die Höhe der zu erstattenden Mietwagenkosten. Hintergrund ist oftmals, dass der Versicherer einwendet, der Unfallgeschädigte habe ein zu teures Fahrzeug angemietet und damit gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen. Das Amtsgericht Ludwigshafen hatte nun am 08.03.2012 eine Entscheidung (Aktenzeichen: 2k C 201/11) über die Erstattungsfähigkeit von Mietwagenkosten unter Hinzuziehung der Schwacke-Liste und Frauenhofer-Liste getroffen.


Sachverhalt: Anmietung eines Ersatzfahrzeugs nach einem Verkehrsunfall

 

Die Klägerin begehrt restlichen Schadensersatz für Mietwagenkosten aus einem Verkehrsunfall. Der Unfallverursacher, der das Alleinverschulden am Unfall trägt, war bei der Beklagten haftpflichtversichert. 

In der unfallbedingten Ausfallzeit nahm die Klägerin für 9 Tage einen Mietwagen in Anspruch. Bei der Anmietung musste die Klägerin keine Kaution hinterlegen und keinen festen Anmietzeitraum festlegen. Sie fuhr insgesamt 244 km mit dem Mietwagen. Für die Anmietung entstanden der Klägerin Kosten in Höhe von 1.094,38 €, die sie gegenüber der Vermieterin beglich. Die Beklagte zahlte der Klägerin zum Ausgleich der Mietwagenkosten aber nur 414,48 €. 

Die klägerin meint, das Fahrzeug der Klägerin sei in die Mietwagengruppe 3 einzuordnen. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass das Fahrzeug über ein Automatikgetriebe verfüge. Auf die Kosten einer normalen Fahrzeuganmietung sei noch ein Preisaufschlag von 25 % vorzunehmen, da die Anmietung von unfalltypischen Rahmenbedingungen begleitet gewesen sei. Zur Schadensschätzung dürfe nicht auf die Fraunhofer-Liste zurückgegriffen werden, da diese nicht aussagekräftig sei. 

Die beklagte Versicherung behauptet, es sei der Klägerin möglich gewesen, ein Ersatzfahrzeug bei den Mietwagenunternehmen Avis, Europcar und Sixt in Ludwigshafen jedenfalls zum Preis von 336,90 € für 9 Tage anzumieten. Die Schwacke-Liste könne bei einer Schadensschätzung nicht herangezogen werden, da erhebliche methodische Bedenken gegen die Erhebung bestünden. 

Amtsgericht spricht dem Unfallgeschädigten Ersatz der Mietwagenkosten nur in Höhe des Normaltarifs zu


Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Geschädigte im Rahmen eines Verkehrsunfalls vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer als erforderlichen Herstellungsaufwand nur den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch in der Lage der Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Die Geschädigte ist dabei ebenso wie bei anderen Kosten der Wiederherstellung und ebenso wie in anderen Fällen, in denen sie die Schadensbeseitigung selbst in die Hand nimmt, nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot (Schadensminderungspflicht) gehalten, im Rahmen des ihr Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet für den Bereich der Mietwagenkosten, dass sie von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt - nicht nur für Unfallgeschädigte - erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis ersetzt verlangen kann.

Die Geschädigte ist zwar hiernach nicht gehalten, quasi Marktforschung zu betreiben und empirisch den günstigsten der zugänglichen Mietwagentarife zu ermitteln. Vorliegend hat die Klägerin aber nicht substantiiert Tatsachen vorgetragen, die der Annahme widersprechen, ihr sei es möglich gewesen zwischen Unfall und Anmietung des Ersatzfahrzeugs, zumindest einen Anbieter für ein Mietfahrzeug zu ermitteln, der zu einem ortsüblichen Durchschnittspreis (sog. Normaltarif) angeboten hätte. Ein höherer Tarif als der Normaltarif ist nämlich nur dann gerechtfertigt, wenn die Besonderheiten des konkreten Verkehrsunfalls mit Rücksicht auf die Unfallsituation (etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen durch den Kunden oder das Mietwagenunternehmen) einen gegenüber dem Normaltarif höheren Preis rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermieters beruhen, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und infolgedessen zur Schadensbehebung erforderlich sind.

Die Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit beim Geschädigten. Auch auf Hinweis des Gerichts hat die Klägerin nicht vorgetragen, warum es ihr konkret nicht möglich gewesen sein soll, einen Pkw zum Normaltarif anzumieten. Insofern ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Anmietung erst am Folgetag des Unfalls erfolgte und der Unfall selbst an einem Montag stattgefunden hat. Allein die unbestritten vorgetragenen typischen Rahmenbedingungen einer Anmietung in Folge eines Verkehrsunfalls begründen für sich genommen noch keinen hinreichend konkreten Vortrag. Maßgeblich ist nämlich nicht die Sicht des Vermieters sondern diejenige der Geschädigten. Auf die Frage der Notwendigkeit zur Absicherung durch Vorlage einer Kreditkarte kommt es beispielsweise nur an, wenn die Geschädigte nicht über eine solche verfügt oder deren Einsatz aus bestimmten Gründen nicht zumutbar erscheint. 

Berechnung des Normaltarifs anhand der Schwacke-Liste und der Frauenhofer Liste



Den Normaltarif hat das Gericht durch eine Kombination der Tabellenwerke für Automietpreise von Schwacke und Fraunhofer ermittelt. Insoweit können Listen und Tabellenwerke eine taugliche Schätzgrundlage darstellen, wenn sie den genannten Anforderungen genügen. Allein der Umstand, dass die Anwendung der Schwacke- und der Fraunhofer-Liste zu deutlich voneinander abweichenden Ergebnissen führen können, genügt nicht, um grundsätzliche Zweifel an der Eignung der einen oder anderen Erhebung als Schätzgrundlage begründen zu können. 

In Rechtsprechung und Literatur sind eine Vielzahl von Einwendungen gegen die beiden Listen vorgebracht worden, die weitgehend von den Parteien im vorliegenden Rechtsstreit wiederholt wurden. In der Gesamtschau muss man dabei davon ausgehen, dass beide Listen ihre spezifischen Vor- und Nachteile aufweisen, abstrakt aber nicht als untaugliche Schätzgrundlage abgelehnt werden können. In dieser Situation erscheint es dem Gericht aber vorzugswürdig nicht lediglich auf eine der beiden Listen isoliert abzustellen, sondern durch eine Kombination die spezifischen Schwachstellen der einzelnen Tabellenwerke zu kompensieren. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass auch andere Wege der Kompensation denkbar sind - der BGH nennt konkret die Möglichkeit von Zu- oder Abschlägen auf die ermittelten Listenwerte. Diese sind aus Sicht des Gerichts aber nicht vorzugswürdig, da die Gewichtung der einzelnen Mängel, die zur Bemessung der Höhe der Zu- oder Abschläge erforderlich wäre, großen Unsicherheiten unterliegt und zu teilweise willkürlichen Ergebnissen führen könnte. Darüber hinaus bietet sich eine Mittelwertbildung zur Kompensation im Hinblick auf die regionalen Verhältnisse im Gerichtsbezirk an. Das Gericht ist nämlich im Rahmen seiner Befassung mit einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten zur Höhe der Mietwagenpreise (in denen auch gelegentlich Sachverständigenbeweis erhoben worden ist) zur Erkenntnis gelangt, dass die ermittelten Werte der Fraunhofer-Liste ungefähr die Untergrenze und diejenigen der Schwacke-Liste ungefähr die Obergrenze der am regionalen Markt im Gerichtsbezirk üblichen Normaltarife abbilden.

Wenn demnach keine durchgreifenden Einwendungen gegen die eine oder die andere Liste vorgetragen werden, kann der Normaltarif über eine Kombination der beiden Listenwerke ermittelt werden. Die Einwendungen der Klägerin gegen die Fraunhofer-Liste und der Beklagten gegen die Schwacke-Liste sind nicht erheblich. Die Eignung von Listen oder Tabellen, die bei der Schadensschätzung Verwendung finden können, bedarf nämlich nur dann der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken. Die Klägerin hat schon überhaupt keine konkreten fallbezogenen Einwendungen im vorgenannten Sinn erhoben. Die Beklagte hat zwar drei Preisanfragen vorgelegt, die wesentlich günstigere Preise im Anmietzeitraum belegen sollen, diese betreffen aber schon einen anderen Anmietzeitraum, da sie erst im Dezember 2011 eingeholt wurden. Die Behauptung, der sich aus den Internetangeboten ergebende Preis befinde sich auf gleichem Niveau wie zum Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Anmietung, erfolgt ersichtlich ins Blaue hinein. Eine Beweiserhebung würde eine Ausforschung darstellen. Darüber hinaus hat die Beklagte mit Hilfe der vorgelegten Preisanfragen schon nicht die Werte der Schwacke-Liste 2011 erschüttern können. Dort werden nämlich auch die abgefragten Minimalpreise aufgeführt. Da die vorgelegten Preisanfragen von deren Niveau nicht signifikant abweichen, muss davon ausgegangen werden, dass diese in die Preisermittlung der Schwacke-Liste eingeflossen sind.