Entziehung der Fahrerlaubnis - Bindung der Verwaltungsbehörde bei einem Fahrerlaubnisentzug an die Feststellungen in einem Strafurteil

Will die Fahrerlaubnisbehörde in einem Verfahren wegen des Entzugs der Fahrerlaubnis einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, so kann sie  zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung  unter anderem der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. So entschied das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen am 25.06.2012 (Aktenzeichen:  16 B 711/12). Die Anordnung einer MPU hatte damit zu unterbleiben. Die entsprechende Ordnungsverfügung der Verwaltungsbehörde war rechtswidrig.

Bindungswirkung des Strafurteils hinsichtlich späteren Entziehungsverfahrens


Will die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren war, so kann sie zum Nachteil des Führerscheininhabers zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung u.a. der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Mit dieser Vorschrift soll die sowohl dem Strafrichter (vgl. § 69 StGB) als auch der Verwaltungsbehörde (vgl. § 3 Abs. 1 StVG) eingeräumte Befugnis, bei fehlender Kraftfahreignung die Fahrerlaubnis zu entziehen, so aufeinander abgestimmt werden, dass Doppelprüfungen unterbleiben und die Gefahr widersprechender Entscheidungen ausgeschaltet wird. 

Der Vorrang der strafrichterlichen vor der behördlichen Entscheidung findet seine innere Rechtfertigung darin, dass auch die Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Strafrichter als Maßregel der Besserung und Sicherung keine Nebenstrafe, sondern eine in die Zukunft gerichtete, aufgrund der Sachlage zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zu treffende Entscheidung über die Gefährlichkeit des Kraftfahrers für den öffentlichen Straßenverkehr ist. Insofern deckt sich die dem Strafrichter übertragene Befugnis mit der Ordnungsaufgabe der Fahrerlaubnisbehörde. Während die Behörde allerdings die Kraftfahreignung aufgrund einer umfassenden Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Kraftfahrers zu beurteilen hat, darf der Strafrichter nur eine Würdigung der Persönlichkeit vornehmen, soweit sie in der jeweiligen Straftat zum Ausdruck gekommen ist. Deshalb ist die Verwaltungsbehörde an die strafrichterliche Eignungsbeurteilung auch nur dann gebunden, wenn diese auf ausdrücklich in den schriftlichen Urteilsgründen getroffenen Feststellungen beruht und wenn die Behörde von demselben und nicht von einem anderen, umfassenderen Sachverhalt als der Strafrichter auszugehen hat. Die Bindungswirkung lässt sich nur rechtfertigen, wenn die Verwaltungsbehörde den schriftlichen Urteilsgründen sicher entnehmen kann, dass überhaupt und mit welchem Ergebnis das Strafgericht die Fahreignung beurteilt hat. Deshalb entfällt die Bindungswirkung, wenn das Strafurteil überhaupt keine Ausführungen zur Kraftfahreignung enthält oder wenn jedenfalls in den schriftlichen Urteilsgründen unklar bleibt, ob das Strafgericht die Fahreignung eigenständig beurteilt hat.  Dabei gilt die in § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG angeordnete Bindungswirkung  nicht nur für die Maßnahme der Entziehung selbst, sondern nach ihrem Sinn und Zweck für das gesamte Entziehungsverfahren unter Einschluss der vorbereitenden Maßnahmen, so dass in derartigen Fällen die Behörde schon die Beibringung eines Gutachtens nicht anordnen darf.

Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Antragsgegner hier gemäß gehindert, die Vorlage einer MPU anzuordnen und auf die Nichtvorlage mit der Entziehung der Fahrerlaubnis zu reagieren. Denn das Strafurteil des Amtsgerichts Ratingen, mit dem der Antragsteller wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr verurteilt wurde, weil er am 15. November 2008 einen Pkw unter dem Einfluss verschiedener zuvor konsumierter Betäubungsmittel (Cannabis und Amphetamin) geführt hatte, enthält die Verwaltungsbehörde bindende Feststellungen. 

RA Wißmann, Rechtsanwalt Lingen