Richtervorbehalt bei der Blutentnahme zum Nachweis von Trunkenheit im Verkehr

Die Strafverfolgungsbehörden müssen vor der Entnahme einer Blutprobe beim Verdacht einer Trunkenheitsfahrt regelmäßig versuchen, zumindest telefonisch eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen. Die sich daraus ergebende zeitliche Verzögerung ist in der Regel nur sehr gering; denn eine telefonische richterliche Entscheidung kann normalerweise innerhalb einer Viertelstunde eingeholt werden. Erst wenn der Richter trotz nachhaltigen und wiederholten Versuchs nicht erreicht werden kann, kann die Anordnungskompetenz wegen Gefährdung des Untersuchungserfolgs auf den Polizeibeamten übergehen. Die Grundsätze der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Richtervorbehalt und zur Gefahr im Verzuge bei der Blutentnahme zum Nachweis des Drogenkonsums finden auch auf die Blutentnahme zum Nachweis von Trunkenheit im Verkehr Anwendung. So entschied das Amtsgericht Essen am 26.08.2008 (Aktenzeichen: 44 Gs 1816/08)

Anordnung einer Blutentnahme durch Polizisten wegen Trunkenheit im Verkehr

Am 20.01.2008 erhielt die Polizei Kenntnis über eine Trunkenheitsfahrt.  Ein Zeuge hatte beobachtet, wie zwei alkoholisierte Personen an einem Kiosk einen Kasten Bier gekauft haben und in den Kofferraum des Pkws geladen haben. Die Beschuldigte hat dann gegen 11.27 Uhr mit diesem Pkw u. a. die K Straße befahren. Die Polizei begab sich daraufhin zu der Halteranschrift des Pkw, wo die Beschuldigte angetroffen wurde. Die Beschuldigte gab nach Bekanntgabe des Tatvorwurfes und erfolgter Belehrung zunächst an, dass nicht sie sondern ihre Vermietern Frau J gefahren sei. Ein freiwillig durchgeführter Atemalkoholschnelltest ergab 1,8 mg/l. Die Beschuldigte wurde der Hauptwache zugeführt. Auf dem Weg dorthin räumte sie ein, mit dem Pkw gefahren zu sein. Auf der Hauptwache wurden durch die Polizisten um 12:15 Uhr zwei Blutproben zu Feststellung des Blutalkoholgehaltes angeordnet.

Anordnung der Blutentnahme rechtswidrig - Polizei hatte keine Anordnungskompetenz

Die Anordnung der Blutentnahmen durch die Polizisten ist rechtswidrig. Dir Richter entschieden, dass die Anordnung gegen § 81 a StPO verstößt.

Gemäß § 81 a Abs. 1 S. 2 i.V.m. 1 StPO dürfen dem Beschuldigten Blutproben zur Feststellung von Tatsachen entnommen werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Insoweit lagen die Voraussetzungen vor, da der Blutalkoholwert anhand der entnommenen Blutproben bestimmt werden sollte. Der Blutalkoholwert ist für das Verfahren wegen Trunkenheit im Verkehr gegen die Beschuldigten von Bedeutung.

Der Polizeibeamtin stand jedoch die erforderliche Anordnungskompetenz nicht zu. Nach § 81 a Abs. 2 StPO steht die Anordnungskompetenz zur Entnahme einer Blutprobe grundsätzlich dem Richter zu, weil die Blutentnahme, auch wenn sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen wird, in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eingreift. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 12.02.2007  entschieden, dass bei einer Blutentnahme als körperlichen Eingriff nach § 81 a Abs. 2 StPO eine gerichtliche Kontrolle gewährleistet sein müsse. Insoweit sei die zwangsweise Blutentnahme mit der Durchsuchung von Wohnräumen vergleichbar, weil der Betroffene in beiden Fällen wegen der begrenzten Dauer der Maßnahme regelmäßig keine Möglichkeit habe, gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher regelmäßig versuchen, vor der Durchführung der Blutentnahme zumindest telefonisch eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen. Sie dürfen von der Anrufung des Richters nur dann absehen, wenn Gefahr im Verzug vorliegt, wenn also die durch die Einholung einer richterlichen Entscheidung entstehende Verzögerung zu einer Gefährdung des Untersuchungserfolges führen würde. In diesem Fall muss die anordnende Stelle -Staatsanwaltschaft oder Polizei- die die Gefahr im Verzug begründenden Tatsachen in den Akten dokumentieren, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist.

Auch nach der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird in der Rechtsprechung zum Teil weiterhin die Auffassung vertreten, dass bei der Abnahme einer Blutprobe zum Nachweis einer Trunkenheitsfahrt die Einholung einer richterlichen Entscheidung stets entbehrlich sei, weil wegen des raschen Abbaus von Alkohol und Drogen im Körper stets eine Gefährdung des Untersuchungserfolges bestehe und damit Gefahr im Verzug vorliege. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei für den Fall der Blutentnahme zum Nachweis, dass der Beschwerdeführer Cannabis-Konsument ist, ergangen und mit der Blutprobenentnahme zum Nachweis eines Trunkenheitsdeliktes, bei dem jede zeitliche Verzögerung bei der Blutentnahme zu größeren Ungenauigkeiten oder gar zu einer Unmöglichkeit der Rückrechnung zur Feststellung der Blutalkoholkonzentration führe, nicht vergleichbar und damit auf die Trunkenheitsfälle nicht anwendbar.

Diese Ansicht ist mit den vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Vorgaben für die Blutprobenentnahme nach § 81 a StPO nicht vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Entscheidung zwar für die Blutentnahme zum Nachweis des Drogenkonsums getroffen. Da jedoch bei einer Drogenintoxikation der Abbau der Wirkstoffe im Blut wesentlich schneller erfolgt als der Abbau der Blutalkoholkonzentration und eine Rückrechnung im zuletzt genannten Fall rechtsmedizinisch schwieriger ist, müssen die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze zum Richtervorbehalt und zur Gefahr im Verzug erst recht auch für die Blutentnahme zum Nachweis von Trunkenheitsdelikten gelten. Die sich aus der Einholung einer richterlichen Entscheidung ergebenden zeitlichen Verzögerungen sind in der Regel nur gering. So ist eine richterliche Entscheidung regelmäßig innerhalb von einer Viertelstunde einholbar. In den Fällen, in denen der Beschuldigte zur Blutentnahme noch auf die Polizeiwache verbracht oder ein Arzt erst herbeigeholt werden muss, können die Polizeibeamten in der Zwischenzeit eine richterliche Entscheidung sogar ohne zeitliche Verzögerungen einholen. Erst wenn der Richter trotz nachhaltigen und wiederholten Versuchs nicht erreicht werden kann, wäre die Anordnungskompetenz wegen Gefährdung des Untersuchungserfolges auf den Polizeibeamten übergegangen.

Richterlicher Bereitschaftsdienst hätte angerufen werden müssen

Der Übergang der Anordnungskompetenz kann vorliegend nicht angenommen werden. Der Beschuldigten wurden die Blutproben am 20.01.2008 (einem Sonntag) um 12:30 Uhr und 13:00 Uhr entnommen. Die anordnende Polizeibeamtin hat angegeben, dass sich am Telefon des richterlichen Eildienstes niemand gemeldet habe, soweit sie sich erinnern könne. Der richterliche Bereitschaftsdienst war allerdings ausweislich der Stellungnahme des am 20.01.2008 diensthabenden Bereitschaftsrichter zu dieser Zeit erreichbar. Der diensthabende Bereitschaftsrichter hat bekundet, dass er am 20.01.2008 in der Zeit zwischen 11:30 Uhr und 14:00 Uhr mehrfach in anderer Sache mit Herrn I, PP F, telefoniert habe. Aufgrund der Erreichbarkeit des richterlichen Eildienstes ist davon auszugehen, dass dieser bei weiteren Versuchen auch erreicht worden wäre. Der eine vorgenommene Versuch war keinesfalls ausreichend. Es hätte nachhaltig und wiederholt versucht werden müssen, den richterlichen Eildienst zu erreichen. Dies insbesondere deshalb, da die Beschuldigte erst noch der Hauptwache zugeführt wurde. Während der Verbringung der Beschuldigten zur Hauptwache war ausreichend Zeit, wiederholt zu versuchen, den richterlichen Bereitschaftsdienst zu erreichen und einen entsprechenden Beschluss zu erwirken. Auswirkungen auf das Messergebnis wären schon von daher nicht gegeben. Daher kann vorliegend auch kein Fall von Gefahr im Verzug angenommen werden.

Unter diesen Voraussetzungen waren die angeordneten Blutentnahmen als rechtswidrig einzustufen und die entnommene Blutprobe zu vernichten.

RA Wißmann, Rechtsanwalt Lingen