Fahrtenbuchauflage für gesamten Fuhrpark; Straßenverkehrsrecht erfordert Prognose weiterer Verkehrszuwiderhandlungen mit anderen Fahrzeugen

Will die Zulassungsbehörde eine Fahrtenbuchauflage auf den gesamten Fahrzeugpark des Fahrzeughalters erstrecken, weil mit einem seiner Fahrzeuge ein unaufgeklärter nicht unwesentlicher Verkehrsverstoß begangen wurde, hat sie eine Prognose darüber anzustellen, ob über das Fahrzeug, mit dem die der Fahrtenbuchauflage zugrundliegende Verkehrszuwiderhandlung begangen wurde, hinaus Verkehrsverstöße mit anderen Fahrzeugen des Halters ebenfalls nicht aufgeklärt werden können. Dies erfordert mindestens, dass die Behörde Art und Umfang des Fahrzeugparks sowie etwaiger Verkehrsverstöße mit Fahrzeugen des Halters in der Vergangenheit ermittelt. So entschied das Verwaltungsgericht Mainz am 14.05.2012 (Aktenzeichen: 3 L 298/12.MZ)

Worüber hatte das Verwaltungsgericht zu entscheiden?

 

Die Antragstellerin ist Halterin eines Fuhrparks von 93 Fahrzeugen. Mit einem Fahrzeug war eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung begangen worden. Der verantwortliche Fahrer konnte nicht ermittelt werden. Da zudem in den Jahren 1998 – 2011 in vier weiteren Fällen ebenfalls Fahrer nicht ermittelt werden konnten, erließ die zuständige Verwaltungsbehörde die Anordnung, dass die Antragstellerin für die Dauer von 30 Monaten für alle auf sie zugelassenen Fahrzeuge Fahrtenbücher zu führen habe!

Zu Unrecht, wie das Verwaltungsgericht ausführt.

Der Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der für sofort vollziehbar erklärte Anordnung, für alle auf die Antragstellerin zugelassenen Fahrzeuge ein Fahrtenbuch zu führen, ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Voraussetzungen einer Fahrtenbuchauflage liegen eigentlich vor

Rechtsgrundlage für die Anordnung eines Fahrtenbuches ist § 31 a Abs. 1 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung – StVZO –. Danach kann einem Fahrzeughalter die Führung eines Fahrtenbuchs aufgegeben werden, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind zwar in tatbestandlicher Hinsicht gegeben. Allerdings hat der Antragsgegner das ihm zustehende Ermessen in Bezug auf den Umfang der Fahrtenbuchauflage nicht ordnungsgemäß ausgeübt, denn diese erweist sowohl hinsichtlich der Anzahl der Fahrzeuge, für die ein Fahrtenbuch zu führen ist als auch hinsichtlich der Dauer der Fahrtenbuchauflage als rechtsfehlerhaft.

Zunächst ist die Anordnung des Führens eines Fahrtenbuches in tatbestandlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Wie zwischen den Beteiligten unstreitig sein dürfte, wurde mit dem auf die Antragstellerin zugelassenen Pkw Porsche auf der A 6 bei Sinsheim ein nicht unerheblicher Verkehrsverstoß – eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 39 km/h – begangen, der den Tatbestand einer Verkehrsordnungswidrigkeit erfüllt, die neben einem Bußgeld i.H. von 120,00 € zum Eintrag von drei Punkten im Verkehrszentralregister führt. Bereits ein erstmaliger unaufgeklärter, mit einem Punkt bewerteter Verkehrsverstoß reicht regelmäßig für die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage aus, ohne dass es auf die Feststellung der näheren Umstände der Verkehrsordnungswidrigkeit ankommt.

Die Ermittlung des Fahrzeugführers bei Begehung der Verkehrsordnungswidrigkeit war auch i.S. von § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO nicht möglich, denn der Antragsgegner war nicht in der Lage, den Fahrzeugführer zu ermitteln, obwohl er alle angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, insbesondere der Antragstellerin einen Zeugenfragebogen zugesandt und Vorortermittlungen von Polizeivollzugsbeamten veranlasst hat. Insbesondere ist das anlässlich der Geschwindigkeitsmessung gemachte Foto des Fahrzeugsführers derart undeutlich, dass zur Überzeugung der Kammer nicht festzustellen war, ob es sich - wie von der Antragstellerin angegeben – um eine weibliche oder um eine männliche Person handelt.

Die Fahrtenbuchauflage ist aber ermessensfehlerhaft

Allerdings begegnet die Ausübung des dem Antragsgegner bei der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nach § 31 a Abs. 1 StVZO zustehenden Ermessens erheblichen Bedenken. Rechtsfehlerhaft erweist sich die Ermessensausübung insoweit, als sich die Fahrtenbuchauflage auf sämtliche auf die Antragstellerin zugelassenen Fahrzeuge (insgesamt 93) erstreckt.

(a) Die angegriffene Fahrtenbuchanordnung erweist sich bereits deshalb als ermessensfehlerhaft. Sie ist unverhältnismäßig, weil der Antragsgegner sie auf sämtliche auf die Antragstellerin zugelassenen Fahrzeuge erstreckt hat. Zwar kann die Verwaltungsbehörde nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO die Führung eines Fahrtenbuchs auch für mehrere Fahrzeuge des Halters anordnen. Von diesem Grundsatz ausgehend ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei mehreren unaufgeklärt gebliebenen Verkehrsverstößen mit verschiedenen auf einen Halter zugelassenen Firmenfahrzeugen die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage bezogen auf den gesamten Fahrzeugpark gerechtfertigt sein kann. Unverhältnismäßig ist die Fahrtenbuchauflage aber dann, wenn die Fahrtenbuchauflage auf alle Fahrzeuge des Halters gestützt wird, ohne dass die Behörde eine Prognose darüber angestellt hat, ob über das Fahrzeug, mit dem die der Fahrtenbuchauflage zugrunde liegende Verkehrszuwiderhandlung begangen wurde, hinaus Verkehrsverstöße mit (den) anderen Fahrzeugen des Halters ebenfalls nicht aufgeklärt werden können. Eine solche Anordnung stellt im Verhältnis zur Einzelanordnung für ein jeweiliges Tatfahrzeug eine erhebliche Erweiterung dar und bedarf deshalb einer ihre Auswirkungen auf den betroffenen Halter bzw. Fahrzeugführer berücksichtigenden Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dies setzt voraus, dass die Behörde für ihre Entscheidung den Sachverhalt hinreichend aufklärt. Grundlage einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung ist es dabei, dass Art und Umfang des Fahrzeugsparks geklärt werden, um abschätzen zu können, ob Verkehrsverfehlungen mit anderen Fahrzeugen des Halters zu befürchten sind.

Vorliegend hat es der Antragsgegner bereits unterlassen, Art und Umfang des Fahrzeugparks der Antragstellerin und damit die Tatsachen zu ermitteln, die die Grundlage für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung einschließlich der Beurteilung der Erforderlichkeit und Angemessenheit der streitigen Anordnung bilden. Schon aus dem Bescheid selbst ergeben sich bezüglich der Ausdehnung der Auflage auf alle Fahrzeuge der Antragstellerin keinerlei Erwägungen. Der Antragsgegner stellt dort zunächst lediglich allgemein die Voraussetzungen für die Anordnung eines Fahrtenbuches dar, ehe er unter Hinweis auf die von ihm herangezogenen Verkehrsverstöße ausführt, warum er in dem konkreten Fall eine Fahrtenbuchauflage für die Dauer von 30 Monaten für gerechtfertigt hält. Ausführungen dazu, warum das Fahrtenbuch auf alle Fahrzeuge zu erstrecken war, fehlen in der Begründung völlig. Dies allein ist bereits ein Indiz auf fehlerhaften Ermessensgebrauch.

Dem Antragsgegner waren bei Erlass des Bescheides nicht alle maßgeblichen Tatsachen bekannt, die einer Ermessenentscheidung hätten zugrunde gelegt werden müssen. Insbesondere hatte er keinerlei Ermittlungen zum Umfang des auf die Antragstellerin zugelassenen Fahrzeugparks angestellt, obgleich ihm dies durch eine Halterabfrage ohne weiteres möglich gewesen wäre. Desgleichen fehlen Erhebungen darüber, in welchem Umfange in der Vergangenheit Verkehrszuwiderhandlungen mit Fahrzeugen der Antragstellerin begangen wurden und wie viele Verstöße nicht aufgeklärt werden konnten. Die in diesem Zusammenhang angeführten vier Verkehrsverstöße können schon deshalb nicht als taugliche Beurteilungsgrundlage herangezogen werden, weil sie zum Teil mehr als 10 Jahre zurückliegen und zwei dieser Verstöße (4. August 1998 und 27. März 2000) bereits Gegenstand einer früheren Fahrtenbuchauflage waren. Hinsichtlich des dritten Verkehrsverstoßes – der ausgehend von der zuletzt begangenen Verkehrszuwiderhandlung mehr als vier Jahre zurückliegt – ist zu berücksichtigen, dass sich der Antragsgegner nach der im September 2007 erfolgten Anhörung mehr als drei Jahre Zeit gelassen hat, ehe er der Antragsgegnerin gegenüber im Januar 2011 eine Fahrtenbuchauflage angedroht hat. Vor diesem Hintergrund bestehen erhebliche Zweifel daran, ob diese Verstöße eine dahingehende Prognose rechtfertigen, mit Fahrzeugen der Antragstellerin würden auch künftig Verkehrszuwiderhandlungen in einer Art und Weise begangen werden, die die Erstreckung einer Fahrtenbuchauflage auf alle Fahrzeuge rechtfertigt.

Ist ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wegen Ermessensfehlgebrauchs bzw. –ausfalls – insbesondere aufgrund unzureichender Ermittlung des Sachverhaltes gegeben, so führt dies zur Rechtswidrigkeit der Fahrtenbuchanordnung insgesamt.

RA Wißmann, Rechtsanwalt Lingen