Verkehrsrecht: Geschwindigkeitsüberschreitung einer Schwangeren - Kein Rechtfertigender Notstand wegen Harndrangs
Nach einer Entscheidung des Amtsgerichts Bad Segeberg vom
04.05.2012
(Aktenzeichen: 5 OWi 552 Js 43380/11 (181/11)
rechtfertigt der starke Harndrang einer Schwangeren keine
Geschwindigkeitsüberschreitung. Andernfalls müsste
man
überlegen, schwangeren Frauen den Führerschein
für
diesen Zeitraum zu entziehen, argumentierte der
Bußgeldrichter.
Allerdings sah das Gericht bei
gleichzeitiger Verhängung eines erhöhten Bußgeldes
von einem normalerweise vorgesehenen zweimonatigen Fahrverbot ab.
Worüber hatte das Amtsgericht zu entscheiden?
Die Betroffene befuhr die Bundesautobahn 21 mit einer Geschwindigkeit von 123 km/h bei tatsächlich gemessenen 127 km/h. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit war auf diesem Streckenabschnitt durch Verkehrszeichen wegen einer Baustelle auf 60 km/h beschränkt. Dies hat die Betroffene insoweit auch eingeräumt. Allerdings erklärte sie, dass sie zum Zeitpunkt des Geschwindigkeitsverstoßes hochschwanger gewesen sei und einen starken Harndrang verspürt hätte. Zum Schutz ihres noch ungeborenen Kindes habe sie die Geschwindigkeit nicht eingehalten. Sie argumentierte, aufgrund dieser Situation habe ein rechtfertigender Notstand vorgelegen.
Kein rechtfertigender Notstand bei Geschwindigkeitsüberschreitung
Dem ist das Gericht nicht gefolgt. Nach §
16 OWiG
liegt ein rechtfertigender Notstand nur dann vor, wenn sich die
Betroffene in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren
Gefahr
für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein andres
Rechtsgut befunden hätte und eine Handlung begangen
hätte, um
die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden und eine
Interessenabwägung ergibt, dass unter
Berücksichtigung der
betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden
Gefahren das geschützte Interesse das beeinträchtigte
wesentlich überwiegt und soweit die Handlung ein angemessenes
Mittel ist, die Gefahr abzuwenden. Für die Annahme eines
rechtfertigenden Notstandes ist ein strenger
Beurteilungsmaßstab
anzulegen. Es ist bei Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht
nur
zu prüfen, ob das geschützte Interesse das
beeinträchtigte wesentlich überwiegt sondern auch, ob
durch
die Geschwindigkeitsüberschreitung überhaupt ein
erheblicher
Zeitgewinn erzielt worden ist und sich die Betroffene nicht auch anders
als durch zu schnelles Fahren hätte helfen können,
etwa durch
Anhalten auf dem Seitenstreifen.
Die Voraussetzung für die Anwendung von § 16 OWiG liegen hier nicht vor. Die Betroffene hat durch eine Kopie des Auszugs aus dem Mutterpass nachgewiesen, dass sie zum Tatzeitpunkt schwanger war. Die Entbindung sollte zwei Monate nach dem Tatzeitpunkt stattfinden. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass eine Überschreitung von 63 km/h eine wesentliche Geschwindigkeitsüberschreitung darstellt und eine erhebliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bedeutet. Auch hätte vorliegend die Möglichkeit bestanden, auf dem Seitenstreifen zu halten. Wäre dem so, dass schwangere Frauen in den letzten Wochen vor der Entbindung einen derartigen Harndrang haben, dass sie sich jedwede Geschwindigkeitsüberschreitung erlauben könnten, müsste man überlegen, schwangeren Frauen den Führerschein für diesen Zeitraum zu entziehen.
Absehen von Fahrverbot wegen Schwangerschaft
Um den besonderen Umständen einer Schwangerschaft Rechnung zu tragen, ist das Gericht schließlich aber von dem Regelfall der Verhängung eines zweimonatigen Fahrverbots zugunsten der Betroffenen abgewichen. Das Gericht hat es als ausreichend angesehen, die Regelbuße geringfügig von 440,00 Euro auf 600,00 Euro zu erhöhen.
RA Wißmann, Rechtsanwalt Lingen